Anfechtung von Zuschlägen im freihändigen Verfahren unter der revidierten IVöB
7. September 2022
Adriano Maissen
Bund und Kantone haben in einem gemeinsamen Projekt ihre Rechtsgrundlagen im Beschaffungsrecht aufeinander abgestimmt.
Bund und Kantone haben in einem gemeinsamen Projekt ihre Rechtsgrundlagen im Beschaffungsrecht aufeinander abgestimmt. Nachdem auf Bundesebene das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) verabschiedet worden ist, hat das Interkantonale Organ für das öffentliche Beschaffungswesen am 15.11.2019 die revidierte Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) verabschiedet. In den Kantonen laufen nun die Ratifizierungsprozesse oder sind bereits abgeschlossen.
Unter der IVöB können öffentliche Beschaffungen freihändig (d.h. direkt ohne Ausschreibung) vorgenommen werden, falls der Auftragswert folgende Schwellenwerte nicht überschreitet: CHF 150’000 bei Lieferungen, Dienstleistungen und Bauarbeiten (Baunebengewerbe) und CHF 300’000 bei Bauarbeiten (Bauhauptgewerbe). Unter bestimmten Umständen kann ein Auftrag freihändig vergeben werden, selbst wenn diese Schwellenwerte überschritten werden (z.B. bei Dringlichkeit oder wenn bei einer Ausschreibung keine Angebote eingegangen sind).
Da jedoch nur der Zuschlagsempfänger am freihändigen Vergabeverfahren teilgenommen hat, wird ein weiterer potenzieller Anbieter in der Regel nur von der freihändigen Vergabe erfahren, wenn der Zuschlag auf Simap (der gemeinsamen elektronischen Plattform von Bund, Kantonen und Gemeinden im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens) publiziert worden ist. Es empfiehlt sich deswegen, regelmässig die Zuschläge auf Simap zu kontrollieren.
Zur Beschwerde gegen Zuschläge im freihändigen Verfahren ist berechtigt, wer nachweist, dass er die nachgefragten Leistungen oder damit substituierbare Leistungen erbringen kann und will. In der Regel genügt hier der Nachweis der Branchenzugehörigkeit. Die Beschwerdefrist beträgt 20 Tage.
Mit der Beschwerde kann gerügt werden, dass das freihändige Verfahren zu Unrecht angewendet (wenn beispielsweise die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestands nicht erfüllt sind oder wenn ein Auftrag zur Umgehung einer Ausschreibung aufgeteilt worden ist) oder der Zuschlag aufgrund von Korruption erteilt worden ist.
Die Beschwerde hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung; diese muss eigens beantragt werden. Gegenteiligenfalls besteht das Risiko, dass der Vertrag zwischen Auftraggeber und Zuschlagsempfänger bereits abgeschlossen wird und die Beschwerdeinstanz nur noch die Rechtswidrigkeit der freihändigen Vergabe feststellen und nicht den Zuschlag aufheben und den Auftraggeber mit Durchführung eines ordnungsgemässen Beschaffungsverfahrens anweisen kann. Kann nur noch die Rechtswidrigkeit festgestellt werden, steht der schwierige Zivilrechtsweg zur Geltendmachung von Schadenersatz offen.